160 Anträge für neue Windkraftanlagen in Lippe

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In Lippe drehen sich 112 Windkraftanlagen. Und in den kommenden Jahren könnten etliche dazu kommen. Beim Kreis stapeln sich 160 Bauanträge. Die meisten von ihnen sind auf Antrag der betroffenen Kommunen für ein beziehungsweise zwei Jahre zurückgestellt. Doch die Uhr tickt. 

"Die ersten Anfragen stammen aus 2011", sagt Olrik Meyer vom Fachgebiet Immissionsschutz beim Kreis. Täglich hat er mit Investoren beziehungsweise deren Anwälten zu tun, die nach einem Entscheid über ihre Anträge fragen. Der Hintergrund: Kommunen wie Lemgo, Kalletal, Extertal, Bad Salzuflen, Dörentrup und Barntrup haben teilweise die Anträge für ihr Gebiet zurückstellen lassen und überarbeiten zur Zeit ihre Flächennutzungspläne. Das Ziel: Im Gemeindegebiet sollen spezielle Standorte, sogenannte Konzentrationsflächen für die Windkraftnutzung, ausgewiesen werden. Ansonsten droht der "Wildwuchs" großer Rotoren. Denn: Windkraftanlagen sind außerhalb von Siedlungen laut Baugesetzbuch "privilegierte Vorhaben". Dazu setzt das Land NRW keine Mindestabstände zu Häusern mehr fest. Und die neueste Gerichtssprechung fordert, dass der Windkraft ein "angemessener Raum" zur Verfügung gestellt werden muss. Das bedeutet, dass eine Kommune, die nicht ihr ganzes ganzes Gebiet für Rotoren frei geben will, auch keine reine "Verhinderungsplanung" betreiben kann. "Das Problem ist, dass in einer Kommune ein Mindestabstand zur Bebauung von 700 Metern noch genügend Raum für Windkraft gibt, in einer anderen 500 Meter zu viel sein können", sagt Fachgebietsleiter Berthold Lockstedt. Oder mit anderen Worten: Für die Aufstellung der Flächennutzungspläne für Windkraft, die nicht Baurecht schaffen, sondern nehmen, gibt es keine Faustformel. Politik und Verwaltung können leicht zwischen die Fronten geraten - zwischen den Antragstellern und den Gegnern mit Häusern in der Nachbarschaft auf der anderen Seite. Beispiel Kalletal: Die nordlippische Gemeinde ist aktueller Spitzenreiter bei den Anträgen für Windkraftanlagen. 46 zusätzliche sind beim Kreis angemeldet. "Die werden längst nicht alle genehmigt werden können. Viele stünden beispielsweise zu nah beieinander oder sind sogar für den selben Standort beantragt", sagt Meyer. Aber: Ändert die Gemeinde nicht rechtzeitig ihren Flächennutzungsplan, muss der Kreis nach Ablauf der Zurückstellungsfrist entscheiden - will er keine Klagen der Antragsteller heraufbeschwören.

In Kalletal ist der geänderte Flächennutzungsplan im vergangenen Sommer ausgelegt worden. Die Abwägung der eingesandten Eingaben ist laut Mario Hecker von der Verwaltung für Ende Januar geplant. Dann folgt eine zweite Offenlegung, Wann der Rat den Satzungsbeschluss trifft, will Hecker nicht vorhersagen. Aber eines scheint klar: Der Termin wird sicher nach dem Ablauf diverser Zurückstellungen liegen. Mit anderen Worten: In Kalletal drohen Windkraftanlagen an Stellen zu entstehen, die der Gemeinde nicht genehm sein könnten.

Anders sieht die Situation in Lemgo aus: Hier sind bereits "Konzentrationsflächen" benannt. Ein Satzungsbeschluss im kommenden Sommer realistisch. "Die Lemgoer sind vorbildlich an die Sache herangegangen", lobt Lockstedt. Eine Garantie, einen absolut gerichtsfesten Plan aufzustellen, habe jedoch niemand.

Die Antragsteller von großen Rotoren selbst haben auch einen gewissen Zeitdruck. In knapp drei Jahren könnte die garantierte Einspeisevergütung für Windkraftanlagen nach dem "Erneuerbare Energien Gesetz" (EEG) von derzeit knapp unter 9 Cent pro Kilowattstunde sinken. "Dann werden die Anlagen nicht von einem Tag auf den anderen generell unwirtschaftlich, aber die Standorte im lippischen Bergland werden aus Sicht von Investoren noch attraktiver", sagt Lockstedt.

Schon jetzt liegt der Schwerpunkt der Anträge eindeutig dort. Potenzialanalysen (zum Beispiel unter www.energieatlasnrw.de) weisen Lippe als bevorzugte Windkraft-Region aus und erzeugen so bundesweit das Interesse von Investoren.

Windkraft in Lippe

Die aktuell 112 Anlagen produzieren eine Strommenge von rund 220.000 Megawattstunden und decken so über 13 Prozent des im Kreis verbrauchten Stroms ab - Haushalts- und Industriebedarf zusammen genommen. Diese Quote soll laut Kreistagsbeschluss bis 2020 auf 30 Prozent gesteigert werden. "Dieses Ziel ist angesichts der vorliegenden Anträge auch realistisch", sagt Olrik Meyer vom Fachgebiet Immissionsschutz beim Kreis. Insgesamt wird in Lippe aktuell 42 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung gedeckt. Auch hier ist laut Fachgebietsleiter Berthold Lockstedt aber noch viel Luft nach oben. "Wir können durch Windkraft, Kraft-Wärme-Kopplung, Photovoltaik und Biogasanlagen über 100 Prozent erreichen, sagt eine Potenzialanalyse." Die Gemeinde Dörentrup (rund 8200 Einwohner) hat das für den Strombedarf in ihren Grenzen bereits erreicht.

Das können Anwohner gegen Anlagen tun

Wo genau die 160 zusätzlichen Windkraftanlagen in Lippe vorgesehen sind, darf der Kreis aus rechtlichen Gründen nicht veröffentlichen. Betroffene dürfen aber nach dem Informationsfreiheits- und dem Umweltinformationsgesetz Akteneinsicht verlangen.

Das sind in der Regel Menschen, die in der Nähe von potenziellen Windkraftstandorten wohnen. Diese können sich unter Telefon (05231) 620 für einen Besuch in der "Immissionsschutzbehörde" im Kreishaus an der Felix-Fechenbach-Straße in Detmold anmelden. "Die Bürger müssen nachweisen, dass sie möglicherweise betroffen sind - dass beispielsweise ein geplantes Windrad eine bedrückende Wirkung auf ihren Wohnsitz ausüben kann", sagt Berthold Lockstedt, Fachgebietsleiter Umwelt im Kreishaus. Genehmigt der Kreis eine Anlage, können Betroffene zudem dagegen klagen.

Wenn eine Kommune in ihrem Flächennutzungsplan Konzentrationsflächen für Windkraft ausweisen will, wird dies öffentlich ausgelegt. Binnen einer gewissen Frist können Anwohner Einwände formulieren. Auch gegen einen beschlossenen Flächennutzungsplan ist eine Klage möglich.

 

Lesen Sie dazu auch den Kommentar von LZ-Redakteur Thomas Reinecke

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